Bringt ein Neubau Mehrverkehr, ist eine Lärmprognose nötig
Führt ein Bebauungsplan zu einer erhöhten Verkehrsbelastung, muss eine sachverständige Einschätzung der entstehenden Mehrbelastung durch Verkehrslärm eingeholt werden.
(VGH Hessen, Beschluss vom 4. August 2022, Az. 3 B 701/22.N)
Der Fall
Die Eigentümerin eines bebauten Grundstücks wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen einen Bebauungsplan. Dieser setzt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Sondergebiet mit großflächigem Einzelhandel fest. Das Grundstück der Eigentümerin liegt in einem Gewerbegebiet, in dem auch Betriebsleiterwohnungen allgemein zulässig sind. Die Gemeinde hat im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens nur eine Verkehrsuntersuchung eingeholt, um die gesicherte verkehrliche Erschließung nachzuweisen, nicht aber eine Lärmprognose.
Die Folgen
Der VGH setzt den Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug, weil er abwägungsfehlerhaft ist. Die Ermittlungen der Gemeinde zu den Lärmbelastungen, die aus der planbedingten Verkehrszunahme außerhalb des Plangebiets erwachsen und die für das angrenzende allgemeine Wohngebiet entstehen, reichen nicht aus. Zwar muss eine Gemeinde nicht immer umfangreiche gutachterliche Ermittlungen anstellen, wenn beispielsweise bereits eine grobe Abschätzung eindeutig erkennen lässt, dass wegen des ersichtlich geringen Ausmaßes zusätzlicher planbedingter Verkehrsbewegungen es offensichtlich keine beachtlichen Lärmbeeinträchtigungen geben wird. Gleichwohl besteht die Vermutung, dass eine Einschätzung zu einem Einhalten der Geringfügigkeitsgrenze grundsätzlich nicht ohne sachverständige Grobabschätzung der zu erwartenden Immissionen möglich ist. Bei einem prognostizierten Mehrverkehr von über 2.800 Fahrzeugbewegungen pro Tag und wegen des Umstands, dass in dem gegenüberliegenden Gewerbegebiet Betriebsleiterwohnungen zulässig und vorhanden sind, hätte es einer sachverständigen Einschätzung des zu erwartenden zusätzlichen Verkehrslärms bedurft.
Was ist zu tun?
Die Entscheidung zeigt, dass Gemeinden und Vorhabenträger schon, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass es zu einer planbedingten Erhöhung von Lärmbeeinträchtigungen kommen wird, ein Lärmgutachten erstellen sollten. So lassen sich Abwägungsfehler vermeiden. Es sollte nicht darauf gesetzt werden, dass etwaige Nutzungskonflikte ins Baugenehmigungsverfahren transferiert werden können. Dies scheint nur dann möglich, wenn die Umsetzung von Maßnahmen der Konfliktbewältigung auf einer nachfolgenden Stufe möglich und sichergestellt ist. Das war hier angesichts der nicht unerheblichen verkehrlichen Vorbelastung nicht denkbar. Da die Gemeinde bereits eine Baugenehmigung erteilt hatte, drohte die Schaffung vollendeter Tatsachen. Das begründete die Notwendigkeit einer vorläufigen Außervollzugsetzung des Bebauungsplans.
(Quelle: CMS, Rechtsanwalt Dr. Florian Kuhlmann von CMS in Immobilien Zeitung 9.2.2023, Ausgabe 6/2023)