Dass der Nachbar den Garten einsehen kann, ist zumutbar
Wenn ein Bauvorhaben zur Folge hat, dass das Nachbargrundstück eingesehen werden kann, kann sich der Nachbar nur dann dagegen wehren, wenn die Einblicke für ihn unzumutbar sind. (VGH Bayern, Beschluss vom 10. Januar 2020, Az. 15 ZB 19/425)
DER FALL
Der Eigentümer eines Grundstücks in bebauter Ortslage wandte sich an den VGH Bayern. Er begehrte Rechtsschutz gegen das erstinstanzliche Urteil, mit dem seine Klage gegen eine Baugenehmigung, die der Eigentümer des Nachbargrundstücks erhalten hatte, abgewiesen worden war. Die Baugenehmigung erlaubte unter anderem, die Wohnnutzung zu erweitern, die auf dem Nachbargrundstück schon vorhanden war. Dagegen wollte sich der Kläger wehren. Er argumentierte, dass das Bauvorhaben erstmals die Möglichkeit schaffe, dass sein Grundstück bzw. Wohngebäude eingesehen werden könne. Jedenfalls verstärke es eine schon vorhandene Einsichtsmöglichkeit. Dies berühre seine Privatsphäre sowie den „Sozialschutz“. Beides sei jeweils ein Verstoß gegen das bau(planungs)rechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
DIE FOLGEN
Der VGH hat keine Zweifel daran, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts richtig war. Das Bauvorhaben verstößt nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Auf die Frage, in welchem Umfang die frühere Wohnnutzung des Nachbarn schon Einsicht auf das Klägergrundstück ermöglicht habe, kommt es nicht an. Was eine verstärkte oder erstmalige Einsichtsmöglichkeit angeht, besteht im bebauten innerörtlichen Bereichen kein Anspruch auf Abwehr des Vorhabens. Denn die Frage, ob es möglich ist, das Nachbargrundstück einzusehen, ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant. Nur im Ausnahmefall könnte das Vorhaben abgewehrt werden, etwa wenn die Einsichtsmöglichkeit für den Grundstückseigentümer unzumutbar ist. Das wäre der Fall, wenn aus kürzester Entfernung ein unmittelbarer Einblick in geschützte Räumlichkeiten wie Schlafzimmer möglich wäre. Dass die Gärten umliegender Grundstücke eingesehen werden können, genügt nicht.
WAS IST ZU TUN?
Ob ein Bauvorhaben unzumutbar ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Auch wenn die Rechtsprechung die Schwelle hoch ansetzt, verbleibt für den Bauherrn eine – wenn auch geringe – Unsicherheit in der Vorhabenplanung. Er sollte seine Pläne deshalb frühzeitig mit der Behörde und gegebenenfalls mit allen Nachbarn abstimmen. Demgegenüber ist es dem Grundstückseigentümer in aller Regel zuzumuten, seine Räumlichkeiten, die potenziell eingesehen werden können, vor Einblicken zu schützen. In Innerortslagen sind etwa Vorhänge oder Jalousien typische Sichtschutzeinrichtungen. Wer eine Baugenehmigung anfechten will, sollte sie deshalb nicht ausschließlich auf vermeintlich unzumutbare Sichtbeziehungen zwischen den Grundstücken bzw. Gebäuden stützen.
(Quelle: Immobilien Zeitung 2.4.2020, Ausgabe 14/2020)