Eine Nebenabrede kann trotz Vollständigkeitsklausel wirken

18. Mai 2021

Eine sogenannte Vollständigkeitsklausel im Gewerbemietvertrag, die besagt, dass es keine mündlichen Nebenabreden der Vertragsparteien gibt, kann von einer der Parteien widerlegt werden. (BGH, Urteil vom 3. März 2021, Az. XII ZR 92/19)

DER FALL
Rechtsanwalt Qutaibah Sabeeh von Bourgeois & Sabeeh.Quelle: Bourgeois & Sabeeh
Eine Mieterin minderte die Miete für ihre Geschäftsräume aufgrund von vermeintlichen Mängeln. Ein solcher Mangel bestehe etwa darin, dass die Fenster nur einfach verglast seien, was zu diversen Einschränkungen im Mietgebrauch führe. Eine doppelte Verglasung sei geschuldet, behauptete die Mieterin, weil der Vermieter bei der Besichtigung diese mündlich zugesichert habe. Diese Abrede ist aber nicht in den unterschriebenen Mietvertrag aufgenommen worden. Der Vertrag besagt lediglich, dass die Mieträume vom Vermieter „frisch renoviert wie abgesprochen“ zu übergeben sind. Zudem wurde eine praxisübliche Vollständigkeitsklausel vereinbart. Der Vermieter klagt die ausstehende Miete ein.

DIE FOLGEN
Das LG gab dem Vermieter Recht, das OLG nahm in der Berufung eine Mietminderung von 5% an. Der BGH hob diese Entscheidung auf, weil seiner Ansicht nach die Miete stärker gemindert sein könnte, und verwies an das Berufungsgericht zurück. Der Einschub „wie abgesprochen“ in der umstrittenen Regelung im Mietvertrag suggeriert, dass es mündliche vorvertragliche Absprachen der Parteien gegeben hat. Solche Abreden können dann für das Mietverhältnis maßgebend werden. Das vermag auch die Vollständigkeitsklausel nicht zu ändern. Zwar soll diese bestätigen, dass die Parteiabreden im schriftlichen Dokument vollständig sind. Allerdings gibt diese Klausel nur eine ohnehin geltende Vermutung der Vollständigkeit bei schriftlichen Verträgen wieder. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden und versperrt es einer Partei nicht, Gegenteiliges zu beweisen. Das Urteil gibt auch gleich mit, dass Formularklauseln, die regeln, dass auf die Gültigkeit vorvertraglicher Abreden verzichtet wird, unwirksam sind.

WAS IST ZU TUN?
Verträge überzeugen nicht durch viel Text, sondern durch Präzision in den relevanten Passagen. Das Urteil verdeutlicht zum einen, wie gründlich und umfassend die Erstellung von Vertragsklauseln durchdacht sein muss. Dies gilt auch für Aussagen im Rahmen von Vertragsverhandlungen. Kleine Satzzusätze können dabei die Wirkung anderer Klauseln völlig entwerten oder erhebliche Pflichten auferlegen. Zum anderen führt die Entscheidung vor Augen, dass bei Besichtigungen oder Verhandlungen stets Zeugen, idealerweise fachkundige Berater, anwesend sein sollten. Im Streitfall muss die vortragende Partei beweisen, dass es vorvertragliche Abreden gibt und welchen Inhalt sie haben. Dieser Beweis ist in der Praxis meist schwer zu führen. Teilnehmer der Verhandlungen sollten daher Aussagen protokollieren, um sie dann fachgerecht in das Vertragswerk einzuführen.

(Quelle: Immobilien Zeitung 14.5.2021, Ausgabe 19/2021)