Erschließungsbeiträge dürfen nicht unbegrenzt erhoben werden

20. Juni 2022

Vorschriften, die keine zeitliche Grenze für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Eintritt der Vorteilslage enthalten, sind verfassungswidrig.
(BVerfG, Beschluss vom 3. November 2021, Az. 1 BvL 1/19)

Der Fall
Der Kläger wandte sich gegen die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach §§ 127 ff. BauGB. Sie wurden ihm als Grundstückseigentümer für die Herstellung einer an seine Grundstücke heranreichende Straße auferlegt. Er hielt die Beitragserhebung über 20 Jahre nach Inbetriebnahme der Straße für verfassungswidrig. Hintergrund der zeitlichen Verzögerung war, dass das Erschließungsbeitragsrecht zwar an die Vorteilslage anknüpft, die durch die Erschließung entstanden ist. Der Beitragsanspruch aber entsteht gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB erst mit der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage im Rechtssinne. Im vorliegenden Fall war hierfür die Widmung als öffentliche Straße erforderlich, und diese erfolgte erst Jahre nach der Fertigstellung. Die Vorschrift des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetzes sah keine absolute zeitliche Grenze für das Erheben von Erschließungsbeiträgen vor. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

Die Folgen
Das BVerfG hält die Regelungen des rheinland-pfälzischen Landesrechts für unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip. In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2013 hatte es aus dem Gebot der Rechtssicherheit bereits Anforderungen an die zeitliche Begrenzung der Erhebung von Kommunalabgaben abgeleitet. Jetzt stellt das BVerfG klar, dass sich das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit auch auf Erschließungsbeiträge erstreckt. Der Gesetzgeber muss die Möglichkeit, Erschließungsbeiträge nach dem Eintritt der Vorteilslage zu erheben, zeitlich begrenzen. Der Beitragspflichtige muss in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er Erschließungsbeiträge leisten muss. Außerdem muss für ihn erkennbar sein, zu welchem Zeitpunkt die Vorteilslage eintritt.

Was ist zu tun?
Das BVerfG hat den rheinland-pfälzischen Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen. Wie die notwendige zeitliche Obergrenze konkret zu bemessen ist, überlässt das Gericht dem Gesetzgeber. Die in einigen Bundesländern gewählten Fristlängen von zehn bis 20 Jahren dürften dabei als Orientierung dienen. In anderen Ländern gibt es dagegen, wie bislang in Rheinland-Pfalz, keine ausdrückliche Regelung. Hier sollten potenziell Beitragspflichtige die kommunalen Abgabengesetze mit Blick auf die verfassungsgerichtlichen Erwägungen genau prüfen. Das gilt nicht nur im Fall der Erhebung von Erschließungsbeiträgen, sondern bei jeglichen Abgaben zum Vorteilsausgleich.

(Quelle: Immobilien Zeitung 17.6.2022, Ausgabe 24/2022)