Erst ab 90% Differenz zum Verkehrswert wird es sittenwidrig
Grundstücksrecht. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung lässt bei Grundstückskaufverträgen in der Regel erst bei einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % auf das Vorliegen einer verwerflichen Gesinnung schließen.
BGH, Urteil vom 24. Januar 2014, Az. V ZR 249/12, (Quelle: Immobilien Zeitung, Nr. 27, 10.07.2014, Seite 12)
DER FALL
Der Kläger gab gegenüber dem Beklagten ein notariell beurkundetes Angebot zum Kauf einer Eigentumswohnung nebst Tiefgaragenplatz für 118.000 Euro ab. Der Beklagte, der die Wohnung zwei Monate zuvor für 53.000 Euro erworben hatte, nahm das Angebot mit notarieller Urkunde an. Der Verkehrswert des Grundstücks betrug zu diesem Zeitpunkt 65.000 Euro. Unter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises nahm der Kläger den Beklagten auf Rückabwicklung des Vertrags und Schadenersatz in Anspruch.
DIE FOLGEN
Nach der Entscheidung des BGH ist ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grundsätzlich erst bei einer Über- oder Unterschreitung des Verkehrswerts von 90% anzunehmen. Liegt ein solches Missverhältnis vor, ist ein Rückschluss auf das Vorliegen einer verwerflichen Gesinnung des Begünstigten zulässig. Sollte diese Grenze nicht erreicht werden, kann die Sittenwidrigkeit des Grundstückskaufvertrags nur angenommen werden, wenn weitere besondere Umstände des Einzelfalls hinzutreten, die derjenige beweisen muss, der sich auf die Sittenwidrigkeit beruft. Ein solcher Beweis wird in der Praxis allerdings selten gelingen. Die Berechnung erfolgt auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen Kaufpreis und Verkehrswert. In dem hier zu entscheidenden Fall stand der Kaufpreis von 118.000 Euro einem Verkehrswert von 65.000 Euro gegenüber, sodass lediglich eine Verkehrswertüberschreitung von 82% vorlag. Mangels eines besonders groben Missverhältnisses traf den Kläger daher die volle Behauptungs- und Darlegungslast für die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit – im Ergebnis ohne Erfolg.
WAS IST ZU TUN?
Die in der Entscheidung genannte Grenze wird bei künftigen Grundstückstransaktionen, insbesondere in der Prüfungsphase, zu beachten sein. Wichtig ist dabei, dass für die Berechnung des Missverhältnisses nicht auf das Verhältnis zwischen Ankaufspreis und Kaufpreis, sondern auf das Verhältnis zwischen Verkehrswert (zum Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags) und Kaufpreis abgestellt wird. In Fällen, in denen der Verkehrswert unklar ist, aber die Vermutung bzw. die Befürchtung besteht, dass der Kaufpreis deutlich über bzw. unter dem Verkehrswert des Grundstücks liegt, sollte über die Einholung eines Verkehrswertgutachtens nachgedacht werden. Bewegt sich der Kaufpreis – wie im BGH-Fall – „nur“ nahe an der 90%-Grenze, ist zu überlegen, ob der Gefahr, später einem Sittenwidrigkeitsvorwurf ausgesetzt zu sein, durch geeignete Formulierungen im Kaufvertrag vorgebeugt werden kann und sollte.