Gemeinde kann zur Erschließung verpflichtet sein

21. November 2022

In Ausnahmefällen kann ein Bauherr einen Anspruch gegen eine Gemeinde auf Erschließung seines Grundstücks haben.
(BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022, Az. 9 B 32/21)

Der Fall
Der Eigentümer eines Wohngrundstücks verlangte von der Gemeinde eine funktionsgerechte, wegemäßige Erschließung eines Nachbargrundstücks für die Ausfahrt aus seiner Garage. Der Bayerische VGH lud den Nachbarn zum Verfahren bei und gab der Klage in zweiter Instanz statt: Er verurteilte die Gemeinde, das Grundstück des Klägers zu erschließen. Die Revision wurde nicht zugelassen, wogegen sich der Nachbar mit einer Beschwerde wendet.

Die Folgen
Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde des Nachbarn zurück. Ein Rechtsanspruch auf Erschließung besteht zwar nach § 123 Abs. 3 BauGB grundsätzlich nicht. Er kann sich aber in Ausnahmefällen aus § 123 BauGB in Verbindung mit § 242 BGB ergeben, wenn sich die gemeindliche Erschließungsaufgabe nach Treu und Glauben zu einer mit einem korrespondierenden Anspruch verbundenen Erschließungspflicht verdichtet. Dies kann der Fall sein, wenn eine Gemeinde nach Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans diesen zwar nicht aufhebt, aber auch nicht seine Durchführung betreibt. Eine Aufklärungsrüge des Nachbarn wies das Bundesverwaltungsgericht zurück, weil er einen im Berufungsverfahren mit Schriftsatz angekündigten Beweisantrag auf Inaugenscheinnahme in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt hatte und sich der Bayerische VGH mithilfe von Karten und Lichtbildern ein ausreichendes Bild der örtlichen Gegebenheiten verschafft hatte. Das Gericht war zudem im Rahmen einer summarischen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gemeinde sich die Verfügungsbefugnis über das Grundstück des Nachbarn, die für die Erschließung erforderlich ist, im Rahmen eines Enteignungsverfahrens nach §§ 85 ff. BauGB verschaffen kann, das bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Dafür muss zunächst der Bebauungsplan rechtmäßig sein und darüber hinaus das öffentliche Interesse an der Enteignung das Interesse des Eigentümers am Erhalt seines Eigentums überwiegen. Das Allgemeinwohlinteresse, das insbesondere in der öffentlichen Aufgabe der Wohnraumversorgung, der Mobilität der Bevölkerung und der Beschaffung hierfür erforderlicher Infrastruktureinrichtungen liegt, überwiegt die Partikularinteressen des Nachbarn.

Was ist zu tun?
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Ansprüche gegen eine Gemeinde auf erstmalige oder auch erweiterte Erschließung eines Grundstücks ausnahmsweise in Betracht kommen können. Gegebenenfalls sind je nach Eigentumsverhältnissen die Erfolgsaussichten eines etwaigen Enteignungsverfahrens für die Flächen, die zur Erschließung benötigt werden, inzident zu prüfen.

(Quelle: Immobilien Zeitung 17.11.2022, Ausgabe 46/2022)