Habitatschutz ist auch bei altem Bebauungsplan einzuhalten
Bei Projektentwicklungen auf Grundlage „alter“ Bebauungspläne muss die Einhaltung des Habitat- und Artenschutzes im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens nachgewiesen werden. (VGH Hessen, Beschluss vom 12. Mai 2021, Az. 3 B 370/21)
DER FALL
Rechtsanwalt Dr. Christian Giesecke von Lenz und Johlen.Bild: Lenz und Johlen
Die Baugenehmigung für ein großes Logistikzentrum wurde von Naturschutzverbänden beklagt. Für den Standort hatte die Gemeinde schon vor vielen Jahren einen Bebauungsplan für ein Gewerbegebiet aufgestellt. Er befindet sich in der Nähe europäischer Habitatschutzgebiete für Flora, Fauna und Vögel. Bei der Planaufstellung aber waren die Schutzgebiete noch nicht festgelegt. Im Bauantragsverfahren wurde eine sog. FFH-Vorprüfung (Fauna-Flora-Habitat) durchgeführt, die die Verträglichkeit des Projekts mit den Schutzgebieten prüft und sich auf das verfügbare Datenmaterial stützte. Den Eilantrag des Umweltverbands lehnte das VG ab. Der VGH gibt der Beschwerde statt und stoppt das Bauvorhaben vorläufig.
DIE FOLGEN
Der VGH Kassel verweist zunächst darauf, dass trotz der gesetzlichen Vorschrift des § 34 Abs. 8 BNatSchG im Baugenehmigungsverfahren die Einhaltung des Habitat- und Artenschutzes nachgewiesen werden muss. Zwar müssen die Vorgaben des Habitatschutzes nach dieser Regelung nicht auf einzelne Bauvorhaben angewendet werden, wenn für diesen Bereich ein Bebauungsplan aufgestellt wurde. Der VGH schränkt die Geltung der Vorschrift jedoch auf Bebauungspläne ein, die im Rahmen der Umweltprüfung die Vereinbarkeit mit dem Habitat- und Artenschutz untersucht und ggf. notwendige Festsetzungen getroffen haben. Im Hinblick auf die vorgelegten Untersuchungen genügt dem VGH eine abstrakte Worst-Case-Bewertung ohne Erfassung des konkreten Artenvorkommens der Schutzgebiete nicht. Es sei nicht gewährleistet, dass sämtliche Auswirkungen des Vorhabens auf den Habitatschutz berücksichtigt worden seien. Der VGH lehnt dieses Vorgehen nicht ab, sondern kritisiert die Plausibilität der dazu vorgelegten Unterlagen.
WAS IST ZU TUN?
Im Geltungsbereich älterer Bebauungspläne ist trotz der Gesetzeslage die Vereinbarkeit mit dem Habitat- und Artenschutz sorgfältig zu überprüfen. Die Vorschrift des § 34 Abs. 8 BNatSchG bietet in diesem Zusammenhang keine rechtliche Planungssicherheit. Die erforderlichen Vor- oder Verträglichkeitsprüfungen müssen erkennen lassen, dass alle Schutzzwecke und Erhaltungsziele der Gebiete untersucht wurden. Die Vorgehensweise nach dem theoretischen Worst-Case-Ansatz, d.h. unter Annahme des Bestands aller dort möglichen geschützten Arten, kann weiterhin im Blick behalten werden, birgt nach dieser Entscheidung jedoch Risiken. Sollte die zugrunde gelegte Datenlage nicht hinreichend und plausibel sein, kann dies zu einem relevanten Rechtsfehler führen. Zur Risikominimierung kann eine Kartierung des Gebiets dienen. Je nach betroffenen Arten ist ein Zeitraum von mehreren Monaten bis zu einem Jahr einzuplanen.
(Quelle: Immobilien Zeitung 2.9.2021, Ausgabe 35/2021)