Kein Eigentumswechsel eines Überbaus durch einen Teilabriss

15. Dezember 2020

Wird ein Gebäude auf dem Stammgrundstück abgebrochen, muss der Nachbar auch einen Überbau auf seinem Grundstück nicht mehr dulden. Er erwirbt aber auch kein Eigentum an diesem verbleibenden Gebäudeteil. (BGH, Urteil vom 10. Juli 2020, Az. V ZR 156/199)

Der Fall
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich ein altes Gebäude befand. Teile dieses Gebäudes standen als zu duldender Überbau auf einem Nachbargrundstück. Später teilte die Eigentümerin ihr Grundstück in Wohnungseigentum auf und veräußerte die Wohnungen, die so entstanden waren. Das alte Gebäude wurde, soweit es auf dem Grundstück der Klägerin stand, abgerissen. Es verblieb einzig der Gebäudeteil auf dem Grundstück der Nachbarin. Die Eigentümerin wollte auch diesen Teil abreißen lassen, was die Nachbarin jedoch ablehnte und ihn für sich beanspruchte. Daraufhin klagte die Eigentümerin auf Herausgabe dieses verbliebenen Gebäudeteils – mit Erfolg!

Die Folgen
Das Gebäude als Ganzes ist, da es baulich und funktional nicht zu trennen ist, als wesentlicher Bestandteil des nunmehr in Wohnungseigentum aufgeteilten Grundstücks anzusehen. Daher verbleibt auch der Gebäudeteil auf dem Grundstück der Nachbarin im Eigentum der Klägerin. Der teilweise Abbruch auf dem Stammgrundstück führt dazu, dass das Gebäude seinen wirtschaftlichen Wert verliert. Damit endet auch die Pflicht der Nachbarin, den Überbau zu dulden. Weil sich die eigentumsrechtliche Zuordnung nicht ändert, kann die Eigentümerin des Stammgrundstücks ihren Wunsch nach der Beseitigung des Überbaus verwirklichen. Gleichzeitig bleibt sie für einen etwaigen Abbruch auf dem überbauten Grundstück verantwortlich. Die Aufteilung in Wohnungseigentum ändert nichts an der Betrachtung. Es ist der Eigentümerin überlassen, das verbliebene Gebäude in die Aufteilung einzubeziehen oder anderweitig darüber zu disponieren.

Was ist zu tun?
Der BGH lässt offen, wie weit ein Abriss von Gebäudeteilen erfolgt sein muss, damit der Nachbar den Überbau nicht mehr dulden muss. Legt man den Sinn der Überbauvorschriften zugrunde, nämlich die Erhaltung geschaffener wirtschaftlicher Werte, wird man davon ausgehen müssen, dass dies erst der Fall ist, wenn die Gebäudereste ohne selbstständige wirtschaftliche Funktion sind. Insofern sollte ein Betroffener, gleich ob Eigentümer oder Nachbar, stets genau dokumentieren oder feststellen lassen, was der baulich-funktionale Zustand eines Gebäudes ist. Wenn beim Nachbarn ein Interesse besteht, den überbauten Gebäudeteil zu erhalten und seinem Eigentum einzuverleiben, wäre es angezeigt, frühzeitig den Austausch zu suchen, um eine Vereinbarung abzuschließen. In eine Abrede sollten die Beseitigungspflichten, ersparte Abrisskosten und etwaige Geldrenten des Eigentümers einkalkuliert sein, um eine interessengerechte Lösung zu finden.

(Quelle: Immobilien Zeitung 10.12.2020, Ausgabe 50/2020)