Kein grundsätzlicher Schutz vor Räumung während der Pandemie
Auch während der Covid-19-Pandemie wird Vollstreckungsschutz gegen eine Zwangsräumung nur gewährt, wenn die Räumung für den Schuldner eine ganz besondere Härte darstellt. (LG Verden, Urteil vom 8. Mai 2020, Az. 6 T 33/20)
DER FALL
Der Gläubiger hatte ein Wohnhaus ersteigert und die Zwangsräumung beantragt. Kurz vor dem Räumungstermin verlangt der Mieter Vollstreckungsschutz und begründet das mit der Corona-Pandemie: Wegen des Kontaktverbots könne er nicht umziehen, denn Umzugsunternehmen nähmen derzeit keine Aufträge an. Auch hätten Gerichte und Gerichtsvollzieher den Betrieb weitgehend eingestellt. Da Hotels und Pensionen wegen Covid-19 geschlossen seien, drohe ihm Obdachlosigkeit. Im Räumungstermin könnte er durch Gerichtsvollzieher und Umzugshelfer angesteckt werden, somit würde die Räumung gegen das Kontaktverbot verstoßen. Wegen seines Alters von 72 Jahren zähle er außerdem zur Risikogruppe.
DIE FOLGEN
Das AG stellt die Zwangsvollstreckung einstweilen ein, hebt den Beschluss aber später wieder auf. Die sofortige Beschwerde des Mieters scheitert vor dem LG. Das Gericht wägt das Grundrecht des Schuldners auf körperliche Unversehrtheit gegen die Grundrechte des Gläubigers ab: Ein besonderes Schutzbedürfnis des Mieters ist nicht erkennbar, so die Richter. Ein physischer Kontakt zwischen ihm und Vollstreckungspersonen ist nicht notwendig, auch eine kontaktlose Übergabe ist möglich. Der Mieter muss bei der Räumung nicht einmal persönlich anwesend sein, er kann jederzeit vor dem Räumungstermin ausziehen. Allein das Alter rechtfertigt keinen Räumungsschutz; zudem hat er nicht nachgewiesen, dass er kein Umzugsunternehmen gefunden hat. Falls ihm Obdachlosigkeit droht, kann er die Verwaltungsbehörden um Vermittlung von Wohnraum bitten. Das Vollstreckungsinteresse des Eigentümers überwiegt, da er vom Schuldner keine Miete erhält und mit eigenen Mietkosten belastet ist.
WAS IST ZU TUN?
Nur wegen Umständen, die für den Schuldner eine ganz besondere Härte bedeuten, kann Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden. Die Corona-Pandemie allein ist kein Grund für die Aussetzung von Zwangsräumungen. Ebenso wenig das Alter des Schuldners, denn das hieße, dass ab einem bestimmten Alter eine Räumung unmöglich würde. Auch ein kurz vor dem Räumungstermin eingereichtes ärztliches Attest wegen eines Infekts bringt dem Schuldner nichts, außer bei schwerer Krankheit, die die Räumung vorübergehend ausschließt. Wenn sich pandemiebedingt kein Umzugsunternehmen findet, muss der Schuldner vor Gericht nachweisen, wie er sich um den Umzug bemüht hat. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass die Justiz keinesfalls ihre Arbeit einstellt, da der Gesetzgeber die Aussetzung von Zwangsräumungen aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht gewollt hat.
(Quelle: Immobilien Zeitung 15.10.2020, Ausgabe 42/2020)