Kein Notwegerecht, auch wenn die Alternative vor Gericht führt
Gibt es für ein nicht öffentlich angebundenes Grundstück eine alternative Zufahrt, kann ein Notwegerecht nicht allein damit begründet werden, dass ein Anspruch zur Umsetzung dieser Zufahrt gerichtlich durchgesetzt werden müsste. (BGH, Urteil vom 16. April 2021, Az. V ZR 85/20)
DER FALL
Der Eigentümer eines Grundstücks verklagt seinen Nachbarn. Sein Grundstück hat keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße, und er nutzt einen Weg auf dem Grundstück des Beklagten als Zufahrt. Ein Wegerecht ist nicht eingetragen. Der Nachbar untersagt die Nutzung seines Grundstücks. Der Kläger ist zudem Eigentümer eines weiteren, angrenzenden Grundstücks. Auch dieses ist nicht unmittelbar an eine öffentliche Straße angebunden. Allerdings besteht zugunsten dieses zweiten Grundstücks ein Wegerecht an dem Grundstück eines Dritten. Um dieses Wegerecht zu realisieren, müsste der Kläger entgegen dem Bebauungsplan auf seinem Grundstück Bäume fällen lassen. Er beantragt eine Befreiung, um die Bäume fällen zu können, diese wird ihm aber nicht erteilt. Er meint, ihm könne nicht zugemutet werden, ein langwieriges gerichtliches Verfahren durchzuführen, um den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Befreiung durchzusetzen. Ihm stehe daher ein Notwegerecht am Grundstück des Beklagten zu.
DIE FOLGEN
Es besteht kein Notwegerecht, wenn dem Kläger eine Zufahrt zu seinem Grundstück in zumutbarer Weise über ein anderes, in seinem Eigentum stehendes Grundstück möglich ist, entscheidet der BGH. Wenn für die Errichtung der alternativen Zufahrt eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans notwendig ist und der Kläger einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf diese Befreiung haben könnte, ist ihm grundsätzlich zuzumuten, diesen Anspruch auch gerichtlich durchzusetzen. Der Kläger muss die alternative Verbindungsmöglichkeit auch nutzen, wenn sie umständlicher ist. Ihm ist ein Rechtsstreit für die Herstellung der alternativen Verbindung zumutbar. Im Ergebnis bejaht das Gericht das Notwegerecht dennoch, da das Wegerecht zugunsten des zweiten Grundstücks nicht zur Nutzung seines ersten Grundstücks berechtigte (§ 1019 BGB).
WAS IST ZU TUN?
Müsste ein Eigentümer zur Umsetzung einer alternativen Zufahrt zunächst einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gerichtlich durchsetzen, steht ihm nicht schon deshalb ein Notwegerecht zu. Wenn die Eintragung eines Notwegerechts begehrt wird, muss zuvor überprüft werden, ob nicht eine anderweitige Zufahrt möglich ist. Dabei sind alle denkbaren Möglichkeiten der alternativen Zuwegung auszuschöpfen. Hierfür muss ggf. zuvor versucht werden, die alternative Zuwegung gerichtlich geltend zu machen. Hinsichtlich einer alternativen Grunddienstbarkeit ist genau zu prüfen, worauf sich ein hiermit gesichertes Wegerecht erstreckt und ob dieses überhaupt zur Nutzung des bislang nicht angebundenen Grundstücks berechtigt.
(Quelle: Immobilien Zeitung 23.9.2021, Ausgabe 38/2021)