Lärmbelastung schließt ein neues Wohngebiet nicht aus

09. November 2022

Wohn- und urbane Gebiete können in einer gewerblich genutzten Nachbarschaft festgesetzt werden, wenn es gewichtige städtebauliche Gründe dafür gibt und im Gebäudeinneren zumutbare Lärmwerte erreicht werden.
(OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Oktober 2021, Az. 1 KN 3/20)

Der Fall
Die Antragstellerin, Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich neben Büros unter anderem ein Bowling-Center und eine Diskothek befinden, wandte sich im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan. Dieser wies Nachbarflächen zu ihrem Grundstück als Wohn- und urbane Gebiete aus. Die Eigentümerin hielt den Bebauungsplan für rechtswidrig, da die Festsetzung eines zum Wohnen bestimmten Gebiets in einer gewerblich vorgeprägten Nachbarschaft mit gewerbetypischen Lärmimmissionen unzulässig sei. Die gewerblichen Mieter ihres Grundstücks seien dadurch unerfüllbaren Schutzansprüchen ausgesetzt.

Die Folgen
Das OVG Lüneburg wies den Normenkontrollantrag zurück. Seiner Auffassung nach ist die Festsetzung von Wohn- und urbanen Gebieten in einer erheblich mit Lärm vorbelasteten Umgebung möglich. Dafür müssen hinreichend gewichtige städtebauliche Gründe vorliegen und jedenfalls im Gebäudeinneren und in etwaigen Außenwohnbereichen müssen durch Schallschutzmaßnahmen zumutbare Lärmwerte erreicht werden. Das OVG nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des BVerwG, das die Ausweisung neuer Wohngebiete, die aufgrund ihrer Nähe zu vorhandenen Straßenverkehrswegen Lärmbelastungen ausgesetzt sind, nicht von vornherein für abwägungsfehlerhaft hält. Wenn Abstände zur Lärmregulierung nicht eingehalten werden können, dann kann, so das BVerwG, durch geeignete bauliche und technische Vorkehrungen dafür gesorgt werden, dass keine ungesunden Wohnverhältnisse entstehen. Das OVG Lüneburg erklärt diese Grundsätze im Rahmen der Ausweisung urbaner Gebiete nach § 6a BauNVO für anwendbar, und ebenso in Fällen, in denen die Lärmvorbelastung nicht aus dem Straßenverkehr, sondern aus benachbartem Gewerbe folgt.

Was ist zu tun?
Die Entscheidung des OVG Lüneburg zeigt erneut, dass die Durchsetzung des immissionsschutzrechtlichen Trennungsgrundsatzes, nach dem schädliche Einwirkungen auf Wohngebiete so weit wie möglich vermieden werden sollen, in der Realität auf Grenzen stößt. Dies insbesondere dann, wenn sie mit dem von § 1a Abs. 2 BauGB flankierten Interesse kollidiert, in dicht besiedelten Gebieten als Maßnahme der Nachverdichtung und Innenentwicklung neue Wohnflächen zu schaffen. Um dem Druck auf den Wohnungsmarkt zu begegnen und die Wohnungsbauziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen die verwaltungsgerichtlichen Maßstäbe bei der Mobilisierung von potenziellen Wohnflächen sowohl von Gemeinden als auch von Investoren von Anfang an mitberücksichtigt werden.

(Quelle: Immobilien Zeitung 3.11.2022, Ausgabe 44/2022)