Sittenwidrigkeit: Unüblich übernommene Kosten zählen mit
Um zu beurteilen, ob bei einem Immobilienkaufvertrag ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, sind zugunsten des Verkäufers von diesem übernommene Kosten zu berücksichtigen, die sonst meist der Käufer übernimmt. (BGH, Urteil vom 15. Januar 2016, Az. V ZR 278/14)
DER FALL
Der Kläger kaufte vom Beklagten mit notariellem Vertrag eine Eigentumswohnung zu einem Preis von 88.000 Euro. Der Verkäufer übernahm im Vertrag jedoch Erwerbsnebenkosten (Beurkundungskosten, Grunderwerbsteuer, Eintragungskosten) in Höhe von ca. 5.580 Euro. Später wurde die Wohnung von einem Sachverständigen mit 46.000 Euro bewertet. Der Käufer will mit der Klage die Sittenwidrigkeit (und anschließend die Nichtigkeit) des Kaufvertrags feststellen lassen. Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Revision des Verkäufers hin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zurück.
DIE FOLGEN
Laut BGH ist für die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB (und die daran anknüpfende Nichtigkeit) ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten erforderlich. Er bestätigt seine Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 24. Januar 2014, Az. V ZR 249/12), wonach die verwerfliche Gesinnung bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das heißt ab einer Abweichung um mehr als 90%, vermutet wird. Allerdings macht der BGH deutlich, dass sämtliche Leistungen und Gegenleistungen ins Verhältnis zu setzen sind, das OLG jedoch nur Verkehrswert (46.000 Euro) und Kaufpreis (88.000 Euro ) verglichen hat (Überschreitung von 91,3%). Dabei hat es außer Acht gelassen, dass der Beklagte Kosten übernommen hat, die üblicherweise der Käufer trägt. Entgegen § 448 BGB hat der Beklagte die Erwerbsnebenkosten (Beurkundung, Eintragung ins Grundbuch und Grunderwerbsteuer) getragen. Da dies weder gesetzlich vorgesehen noch sonst verkehrsüblich sei, müsse man diese Kosten von ca. 5.580 Euro von der Gegenleistung abziehen. Folglich liegt die Gegenleistung nur 79,18% über der Leistung und die Vermutung der Sittenwidrigkeit ist nicht erfüllt. Die verwerfliche Gesinnung müsse daher anderweitig nachgewiesen werden. Hierzu hat das OLG bislang keine Feststellungen getroffen.
WAS IST ZU TUN?
Für den Käufer einer Immobilie, den der Erwerb reut, weil er deutlich über Marktwert gekauft hat, gilt: Neben dem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung muss er eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers nachweisen. Die verwerfliche Gesinnung wird zu seinen Gunsten nur dann unterstellt, wenn Leistung und Gegenleistung mindestens um 90% voneinander abweichen. Hierbei ist eben auch beachtlich, welche sonstigen Kosten der Verkäufer gegebenenfalls übernommen hat, die ein Verkäufer üblicherweise nicht übernimmt.
(Quelle: Immobilien Zeitung 9.6.2016, Ausgabe 23/2016)