Stimmt der Abstand zum Nachbarn, darf der Baum bleiben

18. September 2015

Grundstücksrecht: Der Eigentümer eines Grundstücks, das durch Bäume auf einem Nachbargrundstück beschattet wird, hat keinen Anspruch gegen den Nachbarn auf deren Beseitigung, sofern die landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten werden. (BGH, Urteil vom 10. Juli 2015, Az. V ZR 229/1)

DER FALL

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das in einer Wohnsiedlung belegen und mit einem Reihenhaus nebst einer Gartenfläche von 100 m² bebaut ist. Die Stadt ist Eigentümerin der südlich gelegenen öffentlichen Grünanlage. Der Kläger begehrte von der Stadt die Beseitigung zweier gesunder, je 25 m hoher Eschen. Diese sind mindestens 9 m von der Grundstücksgrenze entfernt angepflanzt und seit dem Kauf des Reihenhauses durch den Kläger erheblich gewachsen. Der Kläger machte geltend, die Bäume würden die Gartenfläche durchgehend verschatten, was zur Auskühlung des Grundstücks führe. Deshalb wäre der Garten weder zur Erholung noch zur Züchtung von Bonsai-Kulturen geeignet.

DIE FOLGEN

Der BGH bestätigt seine seither eingeschlagene Rechtsprechung, wonach negative Einwirkungen – insbesondere der Entzug von Licht, Luft oder Aussicht – durch das Nachbargrundstück keine Beeinträchtigungen darstellen, die einen Beseitigungsanspruch begründen (§ 1004 Abs. 1 BGB). Unter Berücksichtigung der Wertungen des § 906 BGB, der u.a. Duldungspflichten des Eigentümers regelt, sind neben der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ein maßgebliches Kriterium die Nachbargesetze der Länder. Diese enthalten häufig die Mindestabstände für Anpflanzungen. Im entschiedenen Fall waren diese eingehalten. Ein Anspruch auf Beseitigung aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis in Verbindung mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurde ebenfalls verneint. Dieser liegt nur bei derart erheblichen Nachteilen eines Betroffenen vor, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen und besonderen Schwere nicht mehr hinzunehmen sind. Bei Abwägung der gesamten Umstände sprach hier jedoch wenig für das klägerische Begehren. Die Beschattung bestand zum einen nur auf Teilen des Klägergrundstücks. Zudem dienen hier die Bäume höherwertigeren Zwecken, namentlich solchen der Umwelt, des Tierschutzes und der allgemeinen Gesundheit.

WAS IST ZU TUN?

Betroffenen Grundstückseigentümern ist vor dem Hintergrund dieses Urteils zu raten, sich bei Anpflanzungen auf dem Nachbargrundstück ein genaues Bild von den Gewächsen zu machen. Gegebenenfalls ist bei einem Verstoß gegen das Landesnachbargesetz frühzeitig eine Beseitigung zu verlangen, da diese Beseitigungsansprüche möglicherweise nur in den ersten Jahren, nachdem gepflanzt wurde, durchsetzbar sein können (z.B. § 43 HessNachbarG). Ein zu Gericht getragenes Beseitigungsbegehren gegen solche Beeinträchtigungen bedarf daher genauer Prüfung. Dies resultiert nicht zuletzt aus der restriktiven Handhabe des BGH mit jenen Beseitigungsansprüchen und der umfangreichen Kasuistik.

(Quelle: Immobilien Zeitung 17.9.2015, Ausgabe 37/2015)