Verschattung allein ist noch kein Grund zur Nachbarklage
Wenn ein Bauvorhaben die Situation des Nachbarn verschlechtert, verletzt es damit nicht automatisch das Rücksichtnahmegebot. (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2020, Az. OVG 10 S 30.19)
DER FALL
Die Eigentümerin von Wohnhäusern in Berlin-Lichtenberg beantragte Eilrechtsschutz gegen den geplanten Bau von mehrgeschossigen Wohnhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die geplante Bebauung entsprach in Höhe und Länge der umliegenden Bestandsbebauung und wahrte die Abstandsflächen nach § 6 BauO Bln. Dennoch war die Antragstellerin der Auffassung, dass die geplanten Mehrfamilienhäuser zu einer unzumutbaren Verschattung führen würden. Das VG Berlin hat ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung abgelehnt.
DIE FOLGEN
Das OVG Berlin-Brandenburg hat die Beschwerde der Eigentümerin gegen die Entscheidung des VG zurückgewiesen. Da die Abstandsflächenvorschriften eingehalten werden, ist für die Verletzung des Rücksichtnahmegebots ein qualifizierter und individualisierter Verstoß gegen die schutzwürdigen Interessen der Nachbarin nötig. Das ist hier nicht ersichtlich. Das Rücksichtnahmegebot wird nicht schon dann verletzt, wenn ein Vorhaben die Situation des Nachbarn zum Nachteil verändert. Insbesondere entfalten die Orientierungswerte der DIN 5043 zum Tageslicht in Innenräumen keine nachbarschützende Wirkung. Der DIN 5043 kommt auch keine „starke Indizwirkung“ zu, hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage.
WAS IST ZU TUN?
Die gerichtliche Klarstellung, dass der DIN 5043 keine unmittelbare drittschützende Wirkung zukommt, ist zu begrüßen. Denn sie lässt die Erfolgsaussichten einer Nachbarklage sinken, zumindest was die Verschattung angeht. Die Werte der DIN 5043 stellen keine verbindlichen Grenzwerte dar, daher können die Behörden in Bebauungsplan- und Baugenehmigungsverfahren davon abweichen. Es ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob die Verschattung des Nachbargebäudes die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse so stark beeinträchtigt, dass sie nicht hingenommen werden kann. Der Beschluss bestätigt auch, dass die Abstandsflächenvorschriften strikt einzuhalten sind. Denn nur dann ist nach der Rechtsprechung indiziert, dass gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt werden. In einem solchen Fall muss der klagende Nachbar eine qualifizierte und individualisierte Verletzung seiner Rechte darlegen. Dabei wird berücksichtigt, ob sich das geplante Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung im Rahmen der Bestandsbebauung hält und ob das Grundstück des Klägers selbst dicht bebaut ist und dadurch zur Verschattung beiträgt. Der Nachweis einer qualifizierten Verletzung durch zusätzliche Verschattung dürfte vor allem in dicht bebauten Innenstadtgebieten meist scheitern, ebenso wie die Nachbarklage.
(Quelle: Immobilien Zeitung 21.1.2021, Ausgabe 3/2021)