Verträglichkeitsprüfung muss sein, auch wenn schon gebaut ist

03. Februar 2016

Öffentliches Recht: Betrifft ein Projekt ein Gebiet, das nach Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses in die Liste der FFH-Gebiete aufgenommen wurde, ist eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung durchzuführen – unabhängig davon, ob das Bauwerk schon errichtet wurde. (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016, Az. C-399/14)

DER FALL

Eine Naturschutzvereinigung klagte gegen einen Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2004 für den Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke. Sie beanstandete u.a., dass bei Erlass des Beschlusses keine den Anforderungen der Habitatrichtlinie genügende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde. Das Elbtalgebiet wurde nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, aber vor Baubeginn, in die Liste von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung, sog. FFH-Gebiete, aufgenommen. Der Versuch der Naturschutzvereinigung, den Baubeginn im einstweiligen Rechtsschutz zu stoppen, scheiterte. Die Brücke ist inzwischen gebaut und in Betrieb. Im anschließenden Klageverfahren legte das BVerwG dem EuGH die Frage vor, ob in einem solchen Fall eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung erforderlich sei und welche Kriterien dabei anzuwenden seien.

DIE FOLGEN

Der EuGH entschied, dass die Behörden vor Baubeginn eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung hätten durchführen müssen, wenn diese Prüfung die einzige geeignete Maßnahme darstelle, um zu verhindern, dass die Ausführung des Projekts zu einer Verschlechterung oder Störung führe, die sich auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnte. Bei der nachträglichen Prüfung seien auch alle durch die teilweise oder vollständige Ausführung des Projekts eingetretenen oder eintretenden Auswirkungen auf das Schutzgebiet zu berücksichtigen. Die Prüfanforderungen würden sich nicht dadurch verändern, dass der Planfeststellungsbeschluss sofort vollziehbar und ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren gegen den Bau folgenlos war. Ebenso wenig sei zu berücksichtigen, dass das Projekt bereits errichtet und in Betrieb genommen wurde. Würde man diese Faktoren berücksichtigen, bestünde die Gefahr, dass durch innerstaatliche Verfahrensregeln oder das Schaffen von Fakten die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt würde. Schließlich weist das Gericht für die in der Richtlinie geforderten Alternativenprüfung darauf hin, dass hierbei zwar auch die Kosten der Maßnahmen einschließlich möglicher Abrisskosten zu berücksichtigen seien, diesen Kosten jedoch nicht dieselbe Bedeutung zukomme wie dem Natur- und Artenschutz.

WAS IST ZU TUN?

Das Urteil hat Konsequenzen für alle Pläne und Projekte, die FFH-Gebiete erheblich beeinträchtigen können. Durch das Urteil des EuGH wird der maßgebliche Zeitpunkt der Verträglichkeitsprüfung nach hinten verschoben. Investoren können sich nicht mehr auf die im Planungs- oder Genehmigungsverfahren durchgeführten Prüfungen verlassen, sondern sind ggf. verpflichtet, vor Baubeginn eingetretene Änderungen in einer erneuten Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen.

(Quelle: Immobilien Zeitung 28.1.2016, Ausgabe 4/2016)