Wer sich nicht frei entfalten kann, der wohnt nicht
Wenn zwischen den Bewohnern von Gemeinschaftsschlafräumen keine persönlichen Bindungen bestehen, ist nicht von einer Wohnnutzung auszugehen, sondern von einer Form von Beherbergung, etwa einer Monteursunterkunft. (OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. August 2019, Az. 1 LA 28/19)
DER FALL
Der Eigentümer eines Einfamilienhauses, das in einem reinen Wohngebiet liegt, klagte, weil ihm untersagt wurde, das Haus als Monteursunterkunft zu nutzen. Der Kläger bringt dort in sieben, zum Teil spartanisch eingerichteten Zimmern zwischen etwa 12 m² und 28 m² jeweils zwei Personen unter. Das Gebäude verfügt außerdem über einen großen Wohn- und Essraum, eine große Küche, drei Bäder bzw. Duschen und ein Schwimmbad. Das VG hat die Klage gegen die Nutzungsuntersagung abgewiesen. Auch mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vor dem OVG Lüneburg hat der Kläger keinen Erfolg.
DIE FOLGEN
Die Nutzungsuntersagung war rechtsmäßig, entscheiden die Gerichte übereinstimmend. Dass ein Wohnhaus für die dauerhafte Unterbringung von zwölf Beschäftigten verwendet wird, entspricht nicht einer im reinen Wohngebiet zulässigen Nutzung. Wohnen setzt nach der ständigen Rechtsprechung des OVG und anderer Obergerichte voraus, dass die Bewohner ihren häuslichen Wirkungskreis selbst gestalten können, was neben hinreichenden Aufenthaltsmöglichkeiten auch private Rückzugsräume umfasst, die der Eigengestaltung offenstehen. Dass ein Schlafraum von zwei Personen genutzt wird, schließt eine Wohnnutzung nicht aus; auch sind dafür keine engen Freundschaften oder verwandtschaftlichen Beziehungen notwendig. Allerdings muss zwischen den Nutzern eine persönliche Bindung bestehen, die sich nicht darauf beschränkt, dass beide Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterkunft haben. Dies muss der Kläger beweisen.
WAS IST ZU TUN?
Der Beschluss des OVG Lüneburg fügt sich in die Reihe aktueller Rechtsprechung zu temporären Nutzungsformen, seien es Monteursunterkünfte, Serviced Apartments oder Boarding Houses. Zentrales Kriterium zur Abgrenzung des Wohnens von Formen der Beherbergung ist die Eigengestaltung der Haushaltsführung, der Häuslichkeit und der Privatheit. Hier kommt es in der Regel auf die Einzelheiten des Nutzungskonzepts an, das von den Anbietern entsprechend den rechtlichen Vorgaben ausgestaltet werden sollte: So müssen u.a. Größe und Ausstattung der Räume, Belegung und Raumaufteilung für eine Vertrautheit sprechen, die das Zusammenwohnen begründen. Es muss eine eigenverantwortliche Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises mit ausreichender Privatsphäre sichergestellt sein. Dies gilt mit Blick auf die Belegung, aber auch auf die Nutzung der Gemeinschaftsräume und der vorhandenen Rückzugsmöglichkeiten. Die Größe der Räume ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr die Möglichkeit der persönlichen Entfaltung.
(Quelle: Immobilien Zeitung 10.9.2020, Ausgabe 37/2020)