Wird der Baunutzungsplan nicht umgesetzt, ist er unwirksam
Die Festsetzung eines Baunutzungsplans wird unwirksam, wenn in dem Gebiet bei gleicher Baustufe und Art der Nutzung höhere Nutzungsmaße genehmigt wurden. (OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 15. September 2020, Az. OVG 2 B 10.17 u. OVG 2 B 11.17 (nicht rechtskräftig))
DER FALL
Die Eigentümerin eines Grundstücks im Geltungsbereich des Berliner Baunutzungsplans von 1960/61 in Berlin-Neukölln will das Dachgeschoss eines Altbaus als Wohnung ausbauen. Die Behörde versagte die Baugenehmigung, doch die Eigentümerin gewann ihre Klage dagegen in der ersten Instanz (siehe „Funktionsloser Baunutzungsplan: Keine Befreiung nötig“, IZ 32/2017). Gegen diese Entscheidung legt die Behörde Berufung ein.
DIE FOLGEN
Ohne Erfolg. Das OVG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und einen neuen Maßstab dafür aufgestellt, wann ein Baunutzungsplan als funktionslos anzusehen ist. In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ist nicht nur der Straßenblock zu betrachten, in dem das Grundstück liegt, sondern das gesamte Baugebiet mit der gleichen Baustufe und der gleichen Nutzungsart. Weiterhin gilt aber, dass für jede einzelne Festsetzung des Baunutzungsplans zu prüfen ist, ob sie wirksam ist. Dabei kommt es nur auf die Bebauung an, die nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans genehmigt wurde. Hier hat das Gericht Baugenehmigungen für 318 Grundstücke ausgewertet und festgestellt, dass seit 1960 bei fast der Hälfte eine höhere als die festgesetzte Geschossflächenzahl genehmigt wurde. Damit ist diese Festsetzung im gesamten Gebiet unwirksam.
WAS IST ZU TUN?
Nachverdichtung und Innenentwicklung sind das Gebot der Stunde. Doch eine Neubebauung wird vielerorts durch eine Bauleitplanung behindert, die auf überholten städtebaulichen Vorstellungen beruht. Eine neue Anleitung zum Umgang mit diesen Alt-Bebauungsplänen ist daher über die Landesgrenzen hinaus relevant. Auch wenn das Gericht eher vage geblieben ist, wurde der lange Streit zwischen zwei Kammern des VG beigelegt: Es steht nun fest, dass nicht der Altbestand, sondern nur die Bebauung ab 1960/61 relevant ist. Auch wurde geklärt, dass für die umfangreiche Prüfung die Bezirke in der Pflicht sind. Denn der Bauherr hat keinen Zugang zu den Bauakten, um die Bauhistorie des gesamten Gebiets aufzuarbeiten. Die ersten kritischen Stimmen der ohnehin überlasteten Bauämter sind bereits zu hören. Es bleibt abzuwarten, wie sie mit diesem Mehraufwand umgehen und ob den Bezirken nun der Abschied vom Baunutzungsplan leichter fällt. Die Bedeutung dieser Entscheidung kann nicht unterschätzt werden. Denn ist der Baunutzungsplan funktionslos, gilt § 34 BauGB: Statt Befreiungen, die vom Ermessen der Stadtplanung abhängen und oft mit Willkür und hohen Gebühren verbunden sind, hat der Bauherr einen Anspruch auf Genehmigung und kann ein Vorhaben durchsetzen, wenn es sich in die Umgebung einfügt.
(Quelle: Immobilien Zeitung 22.10.2020, Ausgabe 43/2020)